Die CDU Hessen veröffentlichte am 26. Juni 2025 einen Pressebericht, sowie ein Instagram Reel, wonach sie einen Gesetzesentwurf einbringen werden, der psychisch Erkrankte stigmatisiert. Die Forderung: Die psychiatrischen Fachkrankenhäuser sollen der Ordnungs- und Polizeibehörde die Entlassungen ihrer Patienten melden, wenn diese zuvor aufgrund Fremdgefährdung zwangseingewiesen wurden und bei der Entlassung potentiell fremdgefährdend sind. Man wolle damit verhindern, dass psychisch Erkrankte sich selbst und andere gefährden.
Ähnliche Äußerungen tätigte der CDU Abgeordnete Carsten Linnemann bereits. In einem Interview vom 30. Dezember 2024 sagte er: „Wir haben große Raster angelegt für Rechtsextremisten, für Islamisten, aber offenkundig für psychisch kranke Gewalttäter.“
Sind psychisch Erkrankte wirklich so gefährlich?
Hierzu habe ich ein paar hübsche Fakten zusammen getragen. Gelobt sei das World Wide Web. Die Quellen liste ich am Ende auf.
Wie viele Zwangseinweisungen gibt es denn?
Es gibt keine geführte Statistik darüber. Aus einem Bericht von Spektrum geht hervor, dass im Jahr 2016 etwa 56.000 Einweisungen durch Gerichte genehmigt wurden. Es gab etwa 76.000 Unterbringungsverfahren, wovon aber nicht alle in einer Einweisung endeten. 800 davon waren strafrechtlich relevant. Es gibt Schätzungen, wonach etwa 5.000 bis 20.000 aufgrund von Fremdgefährdung erfolgen.
Wie viele psychisch Erkrankte gibt es überhaupt und wie setzen die sich zusammen?
Laut DGPPN, stand April 2024, gibt es in Deutschland jährlich 27,8% psychisch erkrankte Erwachsene. Wir hatten in Deutschland Ende 2024 etwa 83,6 Millionen Einwohner. Davon sind 69,3 Millionen über 18 Jahre alt. Demnach sind 19,3 Millionen Erwachsene psychisch krank. Jede 4. erwachsene Person. Laut Pressebericht vom 23. Juli 2024 der DZG sind aktuell etwa 20% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland jährlich von einer psychischen Erkrankung betroffen. Laut Destatis lebten Ende 2024 etwa 14,3 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 in Deutschland. Das wären dann etwa 2,86 Millionen Kinder und Jugendliche, die jährlich von mindestens einer psychischen Erkrankung betroffen sind. Jedes 5. Kind. Insgesamt sprechen wir von 22,16 Millionen psychisch erkrankten Menschen in Deutschland.
Wie setzen sich die 27,8% Betroffenen detailliert zusammen?
Es gibt bereits einige Zeitschriften und Magazine, die sich mit dem Thema zur Gewalt von psychisch Erkrankten auseinander gesetzt haben und hiernach beruft man sich in der Regel darauf, dass vorallem Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung wie Schizophrenie, Bipolare Depression, Borderline Persönlichkeitsstörung oder Psychosen eine Gefahr darstellen. Man bezieht sich gerne auf eine Untersuchung aus der USA, wonach von 35 Attentäten 28 von einer schweren psychischen Störung betroffen waren. Daher interessierten mich hier besonders die Zahlen zu diesen genannten Störungsbildern.
Laut einem Report zur Psychotherapie der DPTV aus 2020 sah die Aufteilung wie folgt aus:
- 15,4%: Angststörungen
- 9,9%: unipolare Depression (dauerhaft gedrückte Stimmung, davon 6,8 schwer und Major, 1,7% Dysthyme Störung)
- 5,7% Störungen durch Substanzgebrauch (davon 4,8% Alkohol)
- 3,6%: Zwangsstörung
- 3,5%: Somatoforme Störung (körperliche Beschwerden)
- 2,6% Psychotische Störungen (Schizophrenie, Wahnstörungen, akute Psychosen)
- 2,3% Posttraumatische Belastungsstörung
- 1,5% Bipolare Störung
- 1,5% Borderline Persönlichkeitsstörung
- 0,9% Essstörung
Gemessen an der erwachsenen Bevölkerung (19,3 Millionen) macht das in Zahlen etwa 501.800 Menschen mit psychotischer Störung, 289.500 mit Bipolarer Störung und 289.500 mit Borderline Persönlichkeitsstörung, 1.100.100 mit Substanzmissbrauch, und 443.900 mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung . Insgesamt etwa 2,6 Millionen Menschen, die hier als potentiell gefährlich eingestuft werden, rein anhand der Diagnose wohlgemerkt!
Ist die Untersuchung der 35 Attentate in den USA seriös?
Die Untersuchung stammt aus den USA, wonach man 35 Fälle überprüft hatte, bei denen der Attentäter überlebt hatte. Man befragte die Psychiater und Psychologen, die den Täter untersucht hatten und man prüfte die Gerichtsunterlagen. Dabei kam heraus, dass von diesen 35 Tätern 18 Täter unter Schizophrenie litten, 3 unter einer Bipolaren Störung I, 2 hatten Verfolgungswahn, 1 eine paranoide Persönlichkeitsstörung und 1 eine Borderline Persönlichkeitsstörung, 2 mit einer Substanzbezogener Störung und 1 mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung. 4 Fälle hatten keine psychiatrische Diagnose.
Ebenfalls interessant ist, dass keiner dieser Täter medikamentös behandelt wurde.
Wie viele Straftaten gab es im Jahr 2024?
Laut Kriminalstatistik des Bundes gab es im Jahr 2024 insgesamt 217.277 Fälle die der Gewaltkriminalität zuzuordnen sind. Davon gab es 190.605 Tatverdächtige. Übrigens, auch interessant ist, dass etwa 75,6% der Täter im Bereich der häuslichen Gewalt, 97% im Bereich Sexualstraftaten und 85% im Bereich Mord männlich ist.
Wie hoch ist das Risiko, das von psychisch Erkrankten ausgeht?
Wenn man nach der Einordnung des Anteils an männlichen Tätern ausgeht, müsste man die Zahlen zu den psychischen Störungen ebenfalls in Geschlechter einordnen. Tatsächlich ist das ziemlich ausgeglichen. Männliche und weibliche Personen sind gleichermaßen von den Störungen betroffen. Das wären dann ausgehend von den 2.624.800 Betroffenen mit den „verdächtigen Störungen“ jeweils 1.312.400 männlich und weiblich. Nehmen wir den Durchschnitt von den Tätern, sind wir bei 86% der Täter, die männlich sind. Das wären dann etwa 1.128.664 männliche Betroffene und 183.736 weibliche Betroffene, die potentiell gefährlich sind, rein anhand ihrer Diagnose.
Laut DGPPN waren 2023 etwa 10.000 Menschen in Kliniken im Maßregelvollzug. Demnach tatsächlich gewaltbereite psychisch Erkrankte und gemessen an der Gesamtzahl sämtlicher Betroffenen ein Anteil von 0,05%! Das wären dann bei den oben aufgeführten Diagnosen etwa 564,332 männliche und 91,868 weibliche Betroffene. Total noch 656.200 Menschen. Das sind übrigens 1% der erwachsenen Bevölkerung.
Von 190.605 Tatverdächtigen landen etwa 0,05% im Maßregelvollzug einer psychiatrischen Einrichtung.
Viel zitierte Studien aus den USA zeigt 4% der psychisch Erkrankten sind gewaltbereit und nur 2% der „Normalbevölkerung“. Wie seriös sind diese Studien?
In diversen Zeitschriften und Magazinen spricht man immer wieder von einer groß angelegten Studie aus den USA, wonach etwa 2% der „gesunden“ Bevölkerung und 4% der Bevölkerung mit psychischer Erkrankung gewaltbereit sind. Doch wie seriös sind diese Zahlen?
In diesen Studien befragte man schwerst psychisch Erkrankte, die aus staatlichen Einrichtungen entlassen wurden, sowie schwer psychisch Erkrankte, die in psychiatrischen Notaufnahmen aufgenommen wurden. Diese 4% spiegelt nicht im geringsten den Querschnitt aller psychisch Erkrankten in den USA wieder. Übertragen auf Deutschland ist das ungefähr so, als würde man die entlassenen 10.000 Insassen des Maßregelvollzuges befragen, wovon 400 äußern, dass sie noch gewaltbereit sind und die restlichen 9.600 sind es nicht mehr.
Die Verleichsgruppe der „Normalbevölkerung“ ist nicht weniger fragwürdig. Hierzu wurden Stichproben aus der Bevölkerung untersucht. Die Daten stammten aus zwei Studien zu psychischen Störungen, die nicht darauf ausgelegt waren, gewalttätiges Verhalten zu erfassen. So wurde mit einer einfachen Ja/Nein Antwort abgefragt, ob es in den jüngsten Lebensereignissen zu psychischen Störungen und körperlichen Beeinträchtigungen kam und ob sie Gewalt ausgeübt haben. Es gab keine Differenzierung zur Gewalt. So ist es im Grunde jeden selbst überlassen, wie er Gewalt definiert. Manche halten häusliche Gewalt für normal.
Fazit: Diese Studien und Zahlen hierzu sind nicht seriös und spiegeln die Realität nicht im geringsten wieder.
FAZIT zur Gefahr von psychisch Erkrankten?
Es gibt keine verlässlichen und seriösen Studien darüber, wie gefährlich psychisch Erkrankte tatsächlich sind. Weder allgemein, noch differenziert betrachtet. In keiner Studie wird das Umfeld untersucht, wie ist die psychische Störung zustande gekommen, gibt es komorbide Störungen, dies die Gewalttat begünstigt hat, welche Motive steckten dahinter?
Um das nochmal zu verdeutlichen: Wir sprechen hier von dem 45 jährigen Geschäftsführer, der ein Burnout erlitt und jetzt depressiv ist, von der 24 Jährigen, die vergewaltigt wurde und jetzt unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet und wir sprechen von dem gerade 18 Jahre alt gewordenen Jungen, der die letzten 5 Jahre in der Schule massiven Schikanen mit Gewalt ausgesetzt war und jetzt schwer depressiv ist und an einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Vergessen wir bitte nicht die 36 Jährige, die seit ihrem 2. Lebensjahr täglich missbraucht wurde und jetzt an deiner Dissoziativen Identitätsstörung leidet.
Und nochmal zur Erinnerung, von den untersuchten Attentätern wurde keiner medikamentös behandelt. Vielleicht liegt das Problem gar nicht an der Erkrankung an sich?
Es fehlt an Therapieplätzen
Laut dem Sozialverband VDK fehlen in Deutschland etwa 7.000 Kassensitze. Es gibt etwa 37.000 Therapeuten und 15.000 davon haben einen Kassensitz. Laut der Bundespsychotherapeutenkammer können nur etwa 10% der Erkrankten mit einer Therapie versorgt werden.
In einem WDR Artikel vom 26.10.2023 berichtet eine junge angehende Psychotherapeutin, dass die Kassensitze gehandelt werden mit 20.000 Euro bis zu 100.000 Euro, je nach Region. Ein weiteres Problem das sich aufgrund der mangelnden Kassensitze zeigt.
Meine persönliche Meinung?
Die war vermutlich deutlich herauszulesen, obwohl ich mich bemüht hatte, möglichst sachlich und objektiv zu bleiben. Es ist eben eine typische Masche der Politik. Warum einen Fehler im System suchen, wenn es doch viel einfacher ist, den Fehler beim Volk zu suchen. Praktisch dabei ist, dass man eine weitere Kategorie gefunden hat, um die Menschen zu spalten und für Zwietracht zu sorgen. Nicht mit uns. Wir Betroffene bleiben laut und wir wehren uns gegen diese Stigmatisierung.
Quellenangaben
- Aussage Linnemann: https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/linnemann-register-psychisch-kranke-gewalttaeter-cdu-kommentar-100.html
- Pressebericht CDU Hessen: https://www.cdu-fraktion-hessen.de/presse/hessen-staerkt-psychische-gesundheit-und-sicherheit-landtag-beraet-ges/
- Kennzahlen DGPPN: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/3067cbcf50e837c89e2e9307cecea8cc901f6da8/DGPPN_Factsheet_Kennzahlen.pdf
- Kennzahlen DZG: https://deutschezentren.de/news/wie-forschung-psychische-stoerungen-bei-kindern-und-jugendlichen-reduzieren-soll-dzpg-nimmt-risikofaktoren-in-den-fokus/
- Kennzahlen Destatis zur Bevölkerung: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/zensus-geschlecht-staatsangehoerigkeit-2024-basis-2022.html und https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/#!y=2024&a=18,100&g
- Report psychische Erkrankungen: https://www.dptv.de/fileadmin/Redaktion/Bilder_und_Dokumente/Wissensdatenbank_oeffentlich/Report_Psychotherapie/DPtV_Report_Psychotherapie_2020.pdf
- Kennzahl Borderline: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/cad57b2b0c8413c4c0a779a93f643f565438d8ed/038-015m_S3_Borderline-Persoenlichkeitsst%C3%B6rungen_2022-11.pdf?utm_source=chatgpt.com
- Kriminalstatistik: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2024/Polizeiliche_Kriminalstatistik_2024/Polizeiliche_Kriminalstatistik_2024_node.html#:~:text=Im%20Jahr%202024%20wurden%20insgesamt,neuer%20H%C3%B6chststand%20(seit%202007).
- Prävention von Gewalttaten, Einschätzung DGPPN: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/197fdcc62b0b625efb2d2dc1fb292ec330f8a03f/DGPPN_Positionspapier_Pr%C3%A4vention%20von%20Gewalttaten.pdf
- Aufschlüsselung der Geschlechter mit psychische Erkrankungen: https://live.consularia.de/geschlechtersensible-psychotherapie/?utm_source=chatgpt.com
- Kennzahl Maßregelvollzug: https://www.aerzteblatt.de/archiv/psychiatrische-krankenhaeuser-des-massregelvollzugs-ueberbelegt-und-unterversorgt-bac6807b-9204-47d1-b383-c517c359b3d1
- USA Studien: https://psychiatryonline.org/doi/10.1176/ps.2008.59.2.153?utm_source=chatgpt.com
- USA Untersuchung Attentate: https://journals.lww.com/psychopharmacology/abstract/2021/07000/domestic_mass_shooters__the_association_with.5.aspx
- Zu den Therapieplätzen: https://www.vdk.de/aktuelles/aktuelle-meldungen/artikel/das-lange-warten-auf-eine-psychotherapie/
- Zu den Therapieplätzen: https://www.bptk.de/pressemitteilungen/wartezeiten-fuer-psychisch-kranke-menschen-weiterhin-zu-lang/?utm_source=chatgpt.com
- WDR Artikel zu Kassensitze: Trotz genügend Therapeuten gibt es lange Wartelisten – warum? – Nachrichten – WDR
- Gesetzesentwurf: Hessische Landesregierung beabsichtigt Überwachung psychisch kranker und suchtkranker Menschen | patientenrechte-datenschutz.de
- Zwangeinweisungen: https://www.spektrum.de/wissen/zwangsmassnahmen-in-der-psychiatrie/1564402?utm_source=chatgpt.com

